Digitalisierung soll dem Kunden dienen
Dr. Anna Maria Oberländer und Professor Dr. Häckel beschäftigen sich mit Kundenorientierung auf der einen und mit IT-gestützten Prozessen auf der anderen Seite. Ein Gegensatz? Die beiden Wissenschaftler sagen, „nein“. Für sie schafft die richtige Kombination aus Effizienz und Exploration individuelle Kundenerlebnisse. Dabei fordern sie, dass die individuellen Ansprüche von Kunden wieder stärker in den Mittelpunkt digitaler Angebote rücken.
Frau Dr. Oberländer, Herr Professor Häckel, IT-gestützte Prozesse beeinträchtigen, meines Erachtens, oft die Kundenorientierung. Nun ist aber durch die Corona-Krise der Druck auf Unternehmen gewachsen, sich mit Automatisierung auseinanderzusetzen. IT-gestützte Prozesse sollen Kosten einsparen. Der Kunden rückt auf Platz 2 der Prioritätenliste. Deshalb meine Frage: Welche Rolle sollte der Kunde im Kontext von IT-gestützten Prozessen spielen?
Die Finanzindustrie befindet sich weiterhin im Umbruch, verstärkt durch die Dynamik der Corona-Krise. Durch die hohe Anzahl an Transaktionen und die Informationsintensität hat die Digitalisierung hier einen besonders starken Einfluss. Digitale Technologien – wie beispielsweise Künstliche Intelligenz und mobile Endgeräte – durchdringen zunehmend Unternehmensprozesse und verändern die Kundeninteraktion. Ein relevantes Schlagwort in diesem Kontext ist: Ambidextrie. Gemeint ist der Zweiklang aus Effizienz und Exploration. Finanzdienstleistern kann diese Kombination dabei helfen, sich auf wandelnde Anforderungen im Zeitalter der Digitalisierung einzustellen. Dabei ist es uns ein Anliegen zu betonen, dass Kundenorientierung und Automatisierung durch digitale Technologien keinen Gegensatz darstellen – im Gegenteil: Mit der richtigen Priorisierung können kundenrelevante Interaktionen personalisiert und zeitgleich nicht sichtbare Prozesse im Hintergrund automatisiert werden.
„Digitalisierung steht für die Erfüllung individueller Kundenbedürfnisse durch neuartige, maßgeschneiderte Produkte und Services. Solche individualisierten Service- und Beratungsangebote werden immer wichtiger, da sie Finanzdienstleistern langfristige Kundenzufriedenheit und damit Wettbewerbsfähigkeit sichern.“
Einerseits bedeutet Effizienz, transaktionale Prozesse überall dort IT-unterstützt zu beschleunigen oder gar zu automatisieren, wo diese keinen individuellen Mehrwert an der Kundenschnittstelle schaffen. Parallel dazu heißt Exploration, neue Wege des Technologieeinsatzes zu identifizieren, um innovative Wertversprechen für Kunden zu entwickeln. Denn Digitalisierung ist viel mehr als nur Automatisierung. Digitalisierung steht für die Erfüllung individueller Kundenbedürfnisse durch neuartige, maßgeschneiderte Produkte und Services. Diese werden durch digitale Technologien ermöglicht. Solche individualisierten Service- und Beratungsangebote werden immer wichtiger, da sie Finanzdienstleistern langfristige Kundenzufriedenheit und damit Wettbewerbsfähigkeit sichern.
„Der Kunde sollte daher als zentraler Werttreiber wieder stärker im Mittelpunkt des digitalen Wandels stehen. Dabei stellt sich die Frage, wie digitale Technologien zu besserer Beratung und individuellen Kundenmehrwerten beitragen können.“
Getrieben durch eine starke Wettbewerbsdynamik rückt das individuelle Kundenerlebnis – die sogenannte Customer Experience – als Differenzierungsmerkmal wieder stärker in den Fokus. Gerade in den letzten Jahrzehnten hat die Kundenorientierung durch das hochstandardisierte Massengeschäft im Retail Banking gelitten. Derweil schafft eine intensive Beratung – insbesondere bei langfristigen Entscheidungen wie beispielsweise Krediten – einen echten Mehrwert für Kunden. Der Kunde sollte daher als zentraler Werttreiber wieder stärker im Mittelpunkt des digitalen Wandels stehen. Dabei stellt sich die Frage, wie digitale Technologien zu besserer Beratung und individuellen Kundenmehrwerten beitragen können. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz erlaubt beispielsweise eine datenbasierte, individuellere Kundenansprache und Beratung. Kundenorientierung und Automatisierung sind daher kein Widerspruch. Auf die geschickte und kontextspezifische Kombination von Effizienz und Exploration kommt es an.